Mehr Tragkraft für dein Pferd: Trainingstipps für einen stabilen Rumpf

In diesem Blogbeitrag gebe ich dir einige Anleitungen und Ideen, um die Tragemuskulatur von deinem Pferd zu trainieren. Trageerschöpfung, Trageschwäche, Tragfähigkeit – Die Tragemuskulatur ist in aller Munde und wird ständig mit “neuen” Methoden und Ideen besiegt. Aber warum ist das so? Was ist der Trageapparat und warum spielt er so eine entscheidende Rolle für das Reitpferd?

Fangen wir ganz vorne an:

Warum ist der Trageapparat so wichtig für dein Pferd?

Vielleicht, ach was, wahrscheinlich hast du schon einmal gehört, dass das Pferd kein Schlüsselbein hat. Das stimmt schon einmal und ist der wesentliche Faktor, warum wir uns so sehr mit der Tragemuskulatur beschäftigen.

Was bedeutet es konkret für das Pferd, kein Schlüsselbein zu haben?

Es bedeutet, dass es zwischen der Schultergliedmaße (Vorderbein inkl. Schulterblatt) und dem Rumpf keine knöcherne Verbindung gibt. Es gibt also kein Gelenk, dass die Schulter mit dem Brustkorb verbindet. Anschaulich beschrieben: Entfernen wir alle Muskeln, Faszien, Sehnen und Bänder vom Pferdekörper, fallen die Vorderbeine um und der Brustkorb liegt auf dem Boden.

Eine Laune der Natur oder warum ist das so?

Solche Besonderheiten (oder der Körperbau im Generellen) sind selten eine Laune der Natur, sie erfüllen immer eine bestimmte Funktion, die das Lebewesen (also das Pferd) in seinem Lebensraum und seinem Alltag gut gebrauchen kann.

Durch die rein muskuläre Aufhängung der Schultergliedmaße ist diese extrem belastbar und kann zum Beispiel die Landung nach einem Sprung oder einen schnellen Galopp (z.B. für die Flucht) extrem gut abfangen, ohne die unteren Gelenke oder Bänder übermäßig zu belasten. Die muskuläre Verbindung ist wie ein Stoßdämpfer, der erst einmal jede Last nahezu mühelos abfedern kann.

Erst einmal.

Anatomie des Trageapparates

Der Trageapparat besteht aus verschiedenen Muskeln, die zusammen dazu beitragen, dass der Rumpf zwischen den Schulterblättern federn kann

Der wichtigste Rumpfträger ist der Serratusmuskel (m. serratus ventralis). Er besteht aus zwei Teilen. Der eine Teil kommt von den Halswirbeln 4 bis 7 (also vom hinteren Teil der Halswirbelsäule), der andere Teil kommt von den ersten 8 Rippen. Beide setzen an der Innenseite des Schulterblattknorpels an, also am obersten Teil der Schulter. Spannt sich der Muskel an und ab, hebt und senkt sich das Pferd zwischen den Schulterblättern.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Brustmuskulatur. Hängt der Pferdekörper zwischen den Schulterblättern durch, muss die Brustmuskulatur das ausbaden. Sie übernimmt dann die Funktion einer Hängematte, dafür ist sie aber gar nicht gedacht. Die Brustmuskeln unterstützen das Federn des Brustkorbes. Arbeitet sie als Hängematte, kann sie nicht mehr federn und verliert damit ihre stossdämpfende Funktion.

Hinzu kommen weitere Rumpfträger wie einige Muskeln des Halses und der m. subclavius, der vom Brustbein zum Schulterblattknorpel verläuft.

Wie es nun einmal so ist mit der Muskulatur (oder generell lebendem Gewebe) gibt es immer wieder Gründe, warum die Funktion eingeschränkt ist und in unserem Fall der Stoßdämpfer nicht mehr so arbeitet, wie er sollte. Nach meiner Erfahrung lassen sich Probleme auf drei einfache Ursachen zurückführen:

  1. Zu wenig, also Bewegungsmangel: Muskulatur, die nicht genutzt wird, verkümmert und verliert die Leistungsfähigkeit.

    (Ein Mensch, der wochenlang im Bett liegt oder liegen muss, wird anschließend kaum in dem Fitnesszustand sein, einen Marathon laufen zu können. Selbst wenn die Ausdauer es hergeben würde.)

  2. Zu viel, also Überlastung oder Fehlbelastung: Zu viel des Guten führt zu Verspannungen, Zerrungen oder sogar zu Faserrissen in Muskulatur und Sehnen. Wird die Tragemuskulatur überlastet oder falsch belastet, kann sie ihre Funktion nicht mehr richtig erfüllen.

    (So ähnlich ist es zum Beispiel, wenn du Liegestützen machst und irgendwann einfach nicht mehr hochkommst.)

    Fehlbelastungen sind nochmal ein ganz eigenes Kapitel. Hier gibt es z.B. den unsachgemäßen Gebrauch von Hilfszügeln, andere gesundheitliche Probleme oder schlicht schlechtes Reiten. Auf die Zusammenhänge im Einzelnen einzugehen, würde hier sicher den Rahmen sprengen – es soll ja um das Training gehen. (Vielleicht schreibe ich dazu mal einen eigenen Blogartikel.)

  3. Störfaktoren, also Kompression: Druck durch unpassende Ausrüstung, wie z.B. den Sattel, den schlecht sitzenden Reiter oder auch ein unpassender Longiergurt. Kompression macht immer Probleme und lässt sich leider auch nicht durch gutes Training ausgleichen!

    (Trägst du den ganzen Tag einen unpassenden Rucksack beim Wandern, der konstant auf deine Schultermuskulatur drückt, wird deine Muskulatur zwangsläufig schmerzen, verspannen und Schaden nehmen. Selbst wenn du danach zur Massage gehst und ein paar Kräftigungsübungen machst, den Rucksack wirst du trotzdem nicht beschwerdelos tragen können.)

Und wenn die Tragemuskulatur ein Problem bekommt?

Hat die Tragemuskulatur ein Problem, kann sie Ihrer Funktion als Stoßdämpfer nicht mehr richtig nachkommen. Das führt erst einmal zu Überbelastung aller Strukturen, die darunter liegen und die stoßdämpfende Funktion nun übernehmen müssen. Allem vorab sollten hier sicher der Fesselträger und die Beugesehen genannt werden.

Mit einer schlechten Tragemuskulatur kommt es allerdings zu immer mehr Problemen, die sehr vielfältig sind und sich durch den ganzen Pferdekörper ziehen.

Nun ist es so, dass es für jedes Pferd sinnvoll ist, wenn an der Tragkraft gearbeitet wird und nicht erst dann, wenn schon Probleme vorliegen. Trotzdem möchte ich dir hier ein paar Anzeichen nennen, an denen du erkennen kannst, das es mit der Tragfähigkeit deines Pferdes vielleicht nicht ganz so gut aussieht.

Zu den frühen Anzeichen gehören:

  • Vermehrtes Stolpern: Das Pferd stolpert häufig mit den Vorderbeinen und wirkt insgesamt etwas unkoordiniert.
  • Eine verminderte Rückenbewegung: Wenn wir unsere Pferde ohne Sattel traben sehen (z.B. an der Longe), sollte die Bewegung des Rückens nach oben und(!) nach unten deutlich zu sehen sein. Gibt es hier Einschränkungen, kann dies auf ein Problem im Trageapparat hindeuten.

Aber Achtung: Vergleiche niemals Äpfel mit Birnen, nur weil beides Obst ist. Wenn dein Haflinger eine deutlich geringere Bewegung zeigt, als zum Beispiel der Trakehner der Stallfreundin, ist das erst einmal normal. Am besten ist es immer, wenn du dein Pferd mit sich selbst (zu einem früheren Zeitpunkt) vergleichen kannst.

  • Löcher hinter dem Schulterblatt: Sie sind ein häufiges Zeichen für ein Problem mit der Tragfähigkeit. Dabei kommen die Löcher keineswegs, durch den so oft unter Verdacht stehenden Trapezmuskel zustande. Vielmehr liegt es an dem zwischen den Vorderbeine nach unten gesunkenem Brustkorb. Ist wirklich ein sogenannte atrophierter Muskel an dem Bild der Löcher beteiligt, ist dies der lange Rückenmuskel.

Zu den späteren Anzeichen, wenn das Problem also schon etwas fortgeschritten ist, gehören:

  • Das Hervorstehen des oberen Randes des Schulterblattes. Das Schulterblatt zeichnet sich deutlich ab und ist nicht mehr in Muskulatur eingebettet.
  • Eine ansteigende Rückenlinie, wenn das Pferd also nach hinten höher wird, kann ein Anzeichen sein. Auch hier gilt wieder: Ausnahmen bestätigen die Regel. Eine ansteigende Rückenlinie kann auch tatsächlich anatomisch bedingt sein – dann ist es nunmal so. Gerade bei jungen Pferden im Wachstum sehen wir die ansteigende Rückenlinie auch häufiger, dann aber in der Regel nur für einen kurzen Zeitraum.
  • Die Vorderbeine des Pferdes wirken im Verhältnis zum restlichen Pferdekörper deutlich zu kurz.
  • Die nach unten durchgedrückte Halswirbelsäule, leider wird sie oft – auch von vermeintlichen Experten – als Unterhals bezeichnet. Es geht hier aber nicht um einen zu starken Muskel, sondern tatsächlich um die Halswirbelsäule, die sich abzeichnet. Gleichzeitig ist der obere Halsteil bzw. die obere Halsmuskulatur eher schwach ausgeprägt.
  • Das nach vorne unten hervorstehende Brustbein ist ein weiteres Anzeichen. Ist das Brustbein deutlich sichtbar, sollte man hellhörig werden.

Die Liste ist keinesfalls abschließend. Die einzelnen Punkte lassen sich auch sicherlich noch genauer beschreiben, aber wie schon erwähnt, soll es in diesem Beitrag ja vor allem um das Training gehen.

Trainingsideen für eine starke Tragemuskulatur

Ok, eine wichtige Information noch vorab: Muskulatur lässt sich grundsätzlich nicht einzeln trainieren. Es arbeiten immer ganze Muskelgruppen miteinander. Ganz oft ist es so, dass dann die ganze Muskelgruppe zu schwach oder deutlich zu stark ausgeprägt ist.

Hat dein Pferd Probleme die Übungen durchzuführen oder liegen größere Probleme und Bewegungseinschränkungen vor, macht es natürlich Sinn erst einmal den Therapeuten deines Vertrauens zu Rate zu ziehen. In meinem Webinar zur Tragkraft gehe ich außerdem auch nochmals detailliert auf mobilisierende und lösende Übungen ein.

Trab und Galopp in der Dauermethode

Der Hauptrumpfträger, der Serratusmsukel, lässt sich am besten durch die schwungvollen Gangarten Trab und Galopp trainieren. Hier kann er sich, so wie es vorgesehen ist, rhythmisch an und abspannen – federn bewegen also.

Nun reicht es aber leider nicht aus, das Pferd traben zu lassen, die Kopf-Hals-Position muss stimmen. Ist das Pferd im Fluchtmodus und hebt Kopf und Hals in die Höhe, hat die Serratusmuskulatur keine Spannung, sie hängt bildlich durch. Damit arbeitet sie nicht und wird auch nicht trainiert. Erst, wenn die Kopf-Halsposition nach vorne-unten sinkt, ist der Muskel in Spannung und kann arbeiten.

Und wenn du jetzt glaubst, dass du diese Haltung mit Hilfszügeln erreichst, muss ich dich leider enttäuschen. Über das Erreichen einer schönen Kopf-Halsposition ohne Zwangmittel schreibe ich gerne mal in einem anderen Artikel.

Trabt das Pferd nun rhythmisch, gleichmäßig und die Wirbelsäule bewegt sich auf und ab, dann halte diesen Trab so lange, bis dein Pferd ermüdet. Das merkst du mit Hilfe des Pulses, durch plötzliches Stolpern oder schlechtere Federung. Der Muskel und dein Pferd sind müde.

 

Die Arbeit mit Stangen

Stangen sind für dein Pferd erst einmal visuelle Hindernisse, die es zu überwinden gilt.

Bei jedem Trab oder Galopp über (erhöhte) Stangen, hebt das Pferd seinen Brustkorb an und macht sozusagen “Platz” für die Stange (oder das Cavaletti).

Das Ganz lässt sich sehr gut an der Longe durchführen. Die Übung solltest du langsam aufbauen und über Wochen hinweg in der Schwierigkeit steigern. Dabei kannst du zum Beispiel diesen Aufbau verwenden:

 

  • Dein Pferd geht im Schritt und Trab über eine (leicht erhöhte) Bodenstange. Du kannst je nach Pferd erst einmal wirklich eine Stange nehmen oder du verwendest ein Cavaletti auf niedrigster Stufe.
  • Dein Pferd geht auch im Galopp über das Cavaletti. Das sollte schon ein paar Runden klappen. Versuche mit deinem Pferd einen gleichmäßigen Takt zu finden. Achte auf die Haltung deines Pferdes. Wenn dein Pferd den Kopf “hochreißt”, ins Rennen kommt oder sichtlich in Stress gerät, ist es an der Zeit einen Schritt zurückzugehen und erst einmal im Trab weiter zu arbeiten. Klappt die Übung gut, kannst du einen Schritt weitergehen.
  • Im Dritten Schritt ersetze ich die Stange durch ein Cavaletti oder erhöhe das Cavaletti auf die mittlere Stufe. Das reicht den meisten Pferden bereits für den gewollten Effekt: Das Pferd hebt den Brustkorb und mit ihm den Rücken an, um über das Cavaletti zu galoppieren”. Klappt das für einige Runden auf beiden Händen gut, kannst du wieder einen Schritt weitergehen
  • Auf der erst einmal letzten Schwierigkeitsstufe baue ich ein weiteres Cavaletti auf der gegenüberliegenden Seite auf und lasse das Pferd die Übung auf beiden Händen in einem gleichmäßigen Galopp überwinden.

 

Zwischen den einzelnen Schritten dürfen durchaus Wochen liegen. Es ist wichtig, dass du dein Pferd nicht überforderst. Wenn eine Stufe nicht so recht klappen will, gehst du einen Schritt zurück und arbeitest dort nochmal genauer was die Haltung und den Takt deines Pferdes angeht. In der letzten Stufe kann es auch sinnvoll sein, die Cavalettis erst einmal wieder auf die niedrigste Stufe herunterzubauen.

Diese Übung kannst du jeden zweiten bis dritten Tag in dein Training einbauen.

 

Wechselspiele

Wie bei jedem Muskelaufbau ist es wichtig, in Anspannung und Entspannung zu wechseln. Ein Muskel der dauerhaft angestrengt ist, also in einer Haltung verharrt (statische Muskelarbeit) ermüdet sehr schnell und verspannt sich dadurch.

Gerade beim Reiten solltest du daher auf das Wechselspiel achten.

  • Der Wechsel der Nasenhöhe hat jeweils einen Einfluss auf die Art und Weise, wie und wie stark die Tragemuskulatur arbeitet.
  • Der Wechsel der Gangart verändert die Arbeit der Tragemuskulatur. Aber Achtung: Im Schritt fehlt deinem Pferd der Schwung, der die Tragemuskulatur zum Arbeiten bringt. Gerade bei Pferden, die noch keine gut ausgebildete Tragemuskulatur haben, empfehle ich daher gerne auf Ausritten im Schritt auch einfach mal eine Weile zu laufen.
  • Häufige Biegungswechsel entspannen und aktivieren die beiden Seiten des Pferdes und der Tragemuskulatur im Wechselspiel. Schon die einfache Schlangenlinie erlaubt deinem Pferd ein Wechselspiel in der Biegung.

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2. November um 10:00 Uhr

„Mehr Tragkraft für dein Pferd!“

  • Trageschwäche und Trageerschöpfung
  • Anatomie und Biomechanik des Trageapparates
  • Probleme des Trageapparats
  • Massagen, Dehnungen, Mobilisationen – Physiotherapie für dein Pferd
  • Training für den Trageapparat: Welche Übungen, wie oft und wie lange

Die Aufzeichnung steht dir für ein Jahr zur Verfügung.